GARTENKULTUR

        Der Veilchenpflücker     


        Sie sprach: "Ich möcht 'nen Veilchenstrauss,
        Gepflückt von deiner Hand!"
        Da ritt ich flugs in's Feld hinaus,
        Bis dass ich Veilchen fand.
        Mein Rösslein band ich an den Baum
        Und bückte mich in's Gras,
        Doch wie ich dort im Liebestraum
        
        Recht emsig pflückend sass -
        Da riß mein Pferd sich plötzlich los
        Und nahm mit Hast Reissaus.
        Ich fügte still mich in mein Los
        Und sprach: 's gilt ihrem Strauss!
        Der Lohn ist süss, der meiner harrt,
        Sie küsst die Veilchen gar,
        Dann droht sie mir nach Schelmenart
        Und reicht den Mund mir dar.
        
        Dem Rosse folgt' ich lange Zeit,
        Und rief und lockte sehr.
        Durch Wald und Wiesen lief ich weit,
        Doch sah ich's nimmermehr.
        Und finster ward's, ich kam nach Haus
        Nach manchem Sprung und Sturz -
        Was sagte sie zu meinem Strauss?
        "Die Stiele sind zu kurz!"
        
         Anna Löhn-Siegel, 1830-1912, deutsche Schriftstellerin




 

 

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